Wie im wirklichen Leben: Stadtentwicklung ist Interessensausgleich

In der Bild-Zeitung wurde viel gemeckert: Sie sei die zweitlangsamste Baustelle Berlins, alles viel zu teuer, wann wird sie denn endlich fertig…die Karl-Marx-Straße in Berlin Neukölln. Am Donnerstag dem 24.10. hatte der Grundkurs Geographie die Gelegenheit, einen Blick hinter die plakativen Kulissen zu werfen und von den Stadtplanern der Brandenburgischen Stadterneuerungsgesellschaft aus erster Hand zu erfahren, was eigentlich hinter dem Konzept des aktiven Zentrums Karl Marx Straße (www.kms-sonne.de) steckt.
Nachdem die Gruppe unter Leitung des Kurslehrers K. Neitzke die Umgestaltung der alten Kindl-Brauerei und die Bausünden des sozialen Wohnungsbaus in der Rollbergstraße untersucht hat, wurden wir sehr freundlich von Herrn Martinez im Büro der Brandenburgischen Stadterneuerungsgesellschaft empfangen. Dort erhielten wir eine Einführung in die planerischen Tätigkeiten der vom Senat beauftragten Entwicklungsgesellschaft:
Schon lange litt die Karl-Marx-Straße unter zuviel Durchgangsverkehr, einem stetig unattraktiver werdenden Einzelhandel mit Wettbüros, Ein-Euro-Shops und billigen Ramschläden, kurzum: Der öffentliche Raum wurde immer unattraktiver und drohte zu verwahrlosen. Was kann die Stadtplanung dagegen unternehmen? Darf der Senat den Eigentümern Sanierungen vorschreiben? Wer zahlt das Ganze? Wie kann man die Ladenbelegungen steuern? Nach der Klärung vieler Fragen startete die eigentliche Praxis: Wir bekamen das neue Gestaltungskonzept des Alfred-Scholz-Platzes erklärt und erfuhren, dass Investoren heutzutage viel lieber Co-Working-Spaces in ehemaligen Einkaufszentren einrichten wollen als ein neues Ladenkonzept. Bei der Inaugenscheinnahme der verbleibenden Baustelle erfuhren wir interessante Details: So muss für die Sanierung der Asbest-Abdichtung des U-Bahn-Tunnels erst mal die Schicht unter der Straßendecke „aufgeräumt“ werden. Vom Wegreißen alter Pferdebahn-Gleisen über sinnlose Rohre und Leitungen von Firmen, die gar nicht mehr existieren bis hin zur Lagerung des zu waschenden Asbestschutts aufgrund von neuerdings verschärftem Entsorgungsrecht wird ein Riesenaufwand betrieben. Und warum? Um den Lebensraum in der Karl-Marx-Straße aufzuwerten. Langsam dämmerte es uns, dass die Meckerer von der Bild-Zeitung keine Ahnung haben, was dort vor Ort eigentlich geschieht.

Herr Martinez erklärte uns, dass er zwischen vielen Akteuren vermittelt: Die Radfahrer, die im Zuge des neuen Mobilitätsgesetzes breitere Radwege bekommen sollen, die Ladenbesitzer, die durch breitere Bürgersteige wieder mehr Laufkundschaft erwarten, Autofahrer, die wegen der verengten Fahrbahn in Zukunft lieber die Sonnenallee nehmen sollen…Stadtplanung heißt Interessensausgleich unter Einbeziehung aller Beteiligten. Ein Vormittag, der allen Beteiligten klar gemacht hat, dass unsere Stadt ein lebendiger Organismus ist, den es durch aktive Teilnahme zu gestalten gilt.

Herr Neitzke
Grundkurslehrer 12